<unix_pine>: mail from geert
Date: Mon, 23 Jun 2003 10:51:44 +1000
From: geert lovink <geert@xs4all.nl>
To: david herzog <dah@kriegste.de>
Subject: Re: [radio_interfunk] broadcasting Konstantin Wecker live
> will be in amsterdam june, 28th. seems there will be
> some money for the trip. do you know where to live?
sure i am in rozenstraat 147
best, geert
<nettime> art of campaigning - censored text
Date: Thu, 29 Jul 1999 22:14:31 +0200
Gestartet auf der documentaX verbindet die Kampagne 'kein Mensch ist illegal' nicht nur radikalen politischen Anspruch und taktisches Medienverstaendnis, sondern bedient sich immer wieder gezielt des Kunstbetriebes, um Aufmerksamkeit anzuziehen, Rueckendeckung zu erhalten, aber auch um aesthetische Debatten zu fuehren.
rozenstraat:
[dah]: mmh, das ist kriegste.de/interfunk - live aus amsterdam am 28.06.2003 - und wir treffen gerade geert lovink, hier in der rozenstraat - irgendwo in amsterdam, der gerade aus sydney hier ist. geert, ist das richtig so?
[geert]: ja zu besuch aus australien und live zu gast auf kriegst.de
[dah]: kriegste.de, it´s a hard spelling, isn´t it?
[geert]: ja, das ist schwierig auszusprechen. ich denk immer an krieg.de [lacht].
[dah]: no, it´s like: hereyouare.de...
[geert]: ja ik weet het.
[dah]: dah: but it depends on the case, sometimes i also say: it´s like war and s.t.e...
[geert]: [lautes lachen] ja, herzlich willkommen alle, wir reden erstmal über taktische medien und was das auf sich hat. dieser begriff wurde anfang der 90er jahre erfunden, aus einer unzufriedenhait mit den damaligen begriffen wie ´gegenöffentlichkeit´ und ´alternativmedien´ und ´kritik der medien`. also vor zehn jahren etwa.
[dah]: kritik der medien - da muss ich kurz anschliessen, da gab´s, glaub ich, vier texte dazu, die netzkritik... oder ist das schon später?
[geert]: ja, aber es geht erstmal um die überwindung der kritikgeste. ich glaube, bei den taktischen medien geht es doch vor allem um den gebraucher als produzent. also die gebraucher sind wegen dieser neuen technologien doch zu mehr geworden als blosser zuschauer und kritiker. und wir haben jetzt die möglichkeit uns eben taktisch in diesem ganzen medienumfeld zu bewegen. der begriff ´taktische medien` entstand aus einer unzufriedenheit mit dieser dualgeschichte - also wir hier, wir sind die kleinen, wir sind das volk, wir sind eben draussen, nicht? die medien kommen zu uns wie eine lawine. wir sind eigentlich nur opfer der kulturindustrie und der massenmedien. und bei taktischen medien geht es darum, neue medienformen zu erfinden, auch neue formen des publikums zu erfinden.
[dah]: was heisst das: der benutzer soll die medien steuern oder er soll sie benutzen?
[geert]: es kann natürlich leicht interpretiert werden als eine art techno-idealismus. darum geht es aber überhaupt nicht. es geht nicht darum zu zeigen, dass jetzt die user an der macht sind. es geht nicht um die blosse umdrehung, das ist zu einfach. weil es gibt nachwievor natürlich Bertelsmann, es gibt nachwievor Murdock und AOL, Time Warner. diese konglomerate sind über die jahrzehnte nur grösser geworden. gleichzeitig aber sollte uns das nicht überfallen mit einer art ohnmacht. und die überwindung dieser ohnmachtsgefühle und zu zeigen, dass es eben kommunikationsguerillaartige formen gibt, die eben weggehen aus der marginalität und neue und richtig grosse themen ansprechen können, ohne die idee der 68er zu verfolgen, dass man eben teil des systems werden muss, um das system zu bewegen. so ist es nun eben wieder auch nicht. es geht nicht darum, dass die ARD endpunkt jeglicher karriere ist, nicht?
also diese idee, ja natürlich, das ist auch rein von der zahl her unmöglich und auch nicht wünschenswert dass alle, die sich in diesem umfeld bewegen, kurator vom münchner kunstverein werden, oder sagen wir chefredakteur der Frankfurter Rundschau werden. diese idee ist eine wahnwitzige idee...
[dah]: es soll ja nicht jedeR medienmogul werden.
[geert]: nein!
[das abc der taktischen medien / deutsche übersetzung 2003]:
Taktische Medien treten dann in Aktion, wenn die billigen Do-it-yourself Medien
durch Gruppen oder Individuen entdeckt werden, die sich von grösseren
kulturellen Zusammenhängen angegriffen oder ausgeschlossen fühlen.
Taktische Medien berichten nicht nur über Ereignisse. Und obwohl sie nie etwas
verurteilen, nehmen sie immer Anteil. Schliesslich ist es das, was sie mehr als
alles andere von Mainstraem Medien unterscheidet.
Eine spürbar andere taktische Ethik und Ästhetik hat sich da entwickelt, die
kulturell sowohl durch MTV, aber auch von aktuellen künstlerischen Videoarbeiten
beeinflusst ist. Und obwohl diese Ästhethik auch nur ein neues Stilbewusstein
darstellt, begannen die taktischen Medien mit dem quick&dirty Design, das heute
vor allem in seiner Camcorderform auch gern als Markenzeichen der 90er gesehen
wird.
Taktische Medien sind die Medien der Krise, der Kritik und des oppositionellen
Widerstands. Sie stellen die Quellen ihres Einflusses und zugleich die ihnen
innewohnenden Grenzen dar. ['Ärger bedeutet Energie', John Lydon]. Ihre
typischen Helden sind der Aktivist, der rastlose Medienwanderer, die
gefühlvolle Trickserin, die Hackerin, der Strassenrapper und der
Camcorder-Kamikazee. Sie sind die glücklichen Trottel, immer
auf der Suche nach einem Feind. [...]
rozenstraat:
[dah]: aber es gab einen ganz guten grundlagentext, an den ich mich jetzt erinnere, weil ich hab mich natürlich ein bisschen vorbereitet - ´das abc der taktischen medien`, da sind ja inzwischen zehn millionen im netz, glaube ich, jeder hat das irgendwo auf seiner website, jeder hat das schon mal gesehen und gehört, und jeder hat vielleicht auch schon mal diesen namen gert lovink darüber gelesen oder auf holländisch geert lovink. aber viele können dann doch noch nicht das damit verbinden vielleicht - und wenn du dah jetzt noch mal eine ausführung machen kannst, wie es dann zum abc der taktischen medien kam...
[geert]: ja, angefangen haben wir 93 mit taktischem fernsehen. 93 war nach der maueröffnung, nach allem was in osteuropa geschen war, der krieg im alten jugoslawien tobte und es war nach dem ersten golfkrieg, es war eine zeit, in der sich sehr viel getan hat. es war natürlich vor der zeit dieser grossen welle von antiglobalsierungsbewegungen, aber immerhin: es gab viele versuche aus diesen ganzen schwarzen, düsteren 80er jahren rauszukommen, wegzukommen...
[dah]: gothic...
[geert]: ja, und neue öffentlichkeitsformen zu entdecken und eine technikkritik zu entwickeln, in der wir uns definieren als entwickler, als developer. also nicht nur als benutzer, sondern dass wir auch in der lage sein werden können - es ist eine option, es ist nicht eine materialistische wahrheit, es ist ´en mogelijkheid´. die medien sind ein möglicher raum, der sich auftut. man muss da nicht vollends touristisch rangehen, aber es gibt räume, die zu entdecken sind, die zu erobern sind, ja die man für sich in anspruch nehmen kann. und das radio ist da ein sehr gutes beispiel, wo man eben nicht nur piratenradio machen kann, eben nicht nur netzradio machen kann, nicht nur im öffentlich-rechtlichen arbeiten kann, sondern sich zwischen diesen vielen optionen bewegen kann. und das ist das taktische element: dass es nicht das entweder-oder ist, sondern dass diese technologien uns die möglichkeit geben, sich souverän zu verhalten und selbst die wahl zu haben, die medien so zu benutzen, wie das in einem bestimmten punkt nützlich, möglich, oder notwendig ist.
[the abc of tactical media / deutsche übersetzung 2003]
Was aber macht unsere Medien taktisch? In der ´Praxis des Alltäglichen`
analysiert De Curteau Populärkultur nicht als eine Domäne von Texten und
artifiziellen Ausstellungsstückchen, sondern eher als ein Zusammenspiel
von Praktiken und Operationen, die auf textbasierten oder textähnlichen
Strukturen aufbauen. Er verschiebt damit die Betonung von der Representation
des eigenen Rechts hin zur Benutzbarkeit der Repräsentation. Mit anderen
Worten: wie benutzen wir als KonsumentInnen die Texte und Bilder, die uns
umgeben? Und seine überlegte Antwort: 'taktisch'.
Das waren in der Tat weitaus kreativere und rebellischere Wege als man es sich bis
dahin vorstellen konnte. De Curteau beschreibt den Weg des Konsums als Arrangement
von Taktiken, durch die die Schwachen das Starke benutzen könnten. Er
charakterisiert den rebellischen User (eine dem 'Konsumenten' vorgezogene
Terminologie) als taktisch, und den zuvor überlegen[d]en Produzenten [also Autoren,
Kuratoren und Revolutionäre] als strategisch. Diese Unterscheidung vorausgesetzt,
erlaubt es ihm ein ganzes Vokabular an Taktiken herzustellen, das reich und komplex
genug ist, um eine instinktive und spürbare Ästhetik zu entwickeln. Eine
existenzielle Ästhetik der Beteiligung, der Lust am Rumtricksen, am Lesen und
Sprechen. Eine Ästhetik des Einkaufs und des Herumschlenderns, sogar eine Ästhetik
noch unerfüllter Wünsche. Clevere Tricks, die Fuchsbeute, Manöver und polymorphe
Situationen, spassige Entdeckungen, genauso poetisch wie kriegerisch.
rozenstraat:
[dah]: was ich in münchen oder in süddeutschland viel festgestellt habe - und deswegen jetzt eine ganz konkrete frage darauf - du sagst: die leute sollen sich zwischen den medien bewegen. schliesst das denn auch verschiedene medien mit ein? denn mir fällt wahnsinnig oft auf: der eine macht videoarbeiten, dann arbeitet er aber auch nur mit video und das macht er gut, natürlich, vielleicht ab und zu mal ein bisschen sound, aber dann eher für´s video, ja? der andere macht radio und der macht dann nur radio, die dritte macht irgendwie - ich weiss nicht - malerei und versucht, sie im netz zu veröffentlichen und dann macht sie auch nur das. kann man auch zwischen diesen verschiedenen medien hin- und herspringen und diese verschiedenen medien benutzen? also sozusagen: ich mache radio und hin und wieder film und...
[geert]: ja, in der theorie ja. und ich glaube auch für die nächsten generationen. also tief ins einundzwanzigste jahrhundert: ja! ja! aber das problem da ist doch, dass leute in bestimmten disziplinen arbeiten, darin gross geworden sind und eben diese disziplinen - sagen wir mal malerei oder zeitgenössische kunst oder medienkunst - all diese disziplinen sind recht stark. die sind konservativ. sie müssen sich behaupten. sie müssen auch für sich gewisse ressourcen - also im geldsinne - für sich in anspruch nehmen. deswegen ist es ein bisschen gefährlich zu behaupten, dass der heutige künstler quasi ein multimedialer genius ist, nicht? ich möchte es gerne so sehen. und alles - im technischen sinne - läuft eigentlich in diese richtung. also wenn du das sagst, ist es an sich richtig, aber...
[dah]: es geht um eine entwicklung?
[geert]: es geht um eine grosse, ja eine gesamtgesellschaftliche entwicklung, die du da ansprichst. aber eben für bestimmte individuen in ihrer bestimmten situation ist es nicht immer möglich...
<nettime> art of campaigning - censored text:
[ralf homann] Politik ist zum Teil auf das Feld symbolischer Handlungen und durch Massenmedien vermittelter Fragestellungen abgewandert. Damit auf ein Gebiet, fuer das die Kunst besondere fachliche Qualitaeten hat.
[ralf homann] Das waere jetzt sowas wie Glamour. Unabhaengig davon: Macht es Sinn im Kunstkontext zu agieren, weil Themen wie 'kein mensch ist illegal' in den Massenmedien tabuisiert werden und hier ein offener Raum existiert, in dem neue Formen und Inhalte erprobt werden koennen?
rozenstraat:
[geert]: also ich bewege mich schon: zum beispiel mache ich texte und bücher und radio. ich versuche zum beispiel - was schon sehr schwierig ist - sich frei im netz zu bewegen und gleichzeitig auf papier zu veröffentlichen. da reden wir nur über ein medium: text. aber schon beim text ist es recht schwierig, die beiden strategien richtig erfolgreich zu ende zu bringen. wenn man zum beispiel in den zeitungen veröffentlicht oder bücher macht, dann sind eben die instituionen, mit denen man sich da herumschlägt, sehr konservativ und werden verhindern, dass deine texte ins netz kommen - und umgekehrt.
[dah]: als wir uns kennengelernt haben, dass war ja 1998 auf dem [cross the border] kongress damals in der viehbank in münchen und dann haben wir uns später wiedergesehen 1999 auf dem radiocamp, oder auf dem camp von ´kein mensch ist illegal´ und haben dann zusammen radio gemacht. das war super, als du gekommen bist: erst dann war das radio wirklich vollständig. da warst du ja viel im radio unterwegs und hast auch viel fürs radio gemacht. du hattest mir damals erzäht, du reist auch welweit eigentlich herum - auch teilweise in krisengebiete - und machst dann dort radio. das ist vielleicht ein sehr schönes praktisches beispiel für [...,]
ENDE TONBAND 1
[das abc der taktischen medien / deutsche übersetzung 2003]
Ein anschauliches Bespiel des Taktischen kann in den Arbeiten des polnischen Künstlers
Krzystof Wodiczko gesehen werden. 'Der Künstler', sagt er, 'muss lernen, als umherziehender
Sophist in einer Umgebung der Migration zu agieren.'
Wie andere umherziehende Medientaktiker hat Wodiczko die Techniken durch Beobachtung studiert,
durch die die Schwachen stärker werden können als die Unterdrücker. Dadurch, dass er zentrumslos
wird und sich schnell zwischen den physischen und virtuellen Landschaften bewegt.
'Je mehr das zu Entdeckende gejagt wird, desto eher werden die Wege zum Jäger.'
Anmerkungen und Quellen:
- (1) [the abc of tactical media] von David Garcia und Geert Lovink, siehe www.nettime.org und www.n5m4.org [dort auch: definition of tactical media]
- (2) [close the gap] von Ralf Homann, siehe www.kwin.de/freieklasse [stichting de geuzen/oberwelt e.V./cross the border] virtuelle Gespraechsrunde zwischen Renée Turner, Stichting De Geuzen, Amsterdam; Kurt Grunow, Oberwelt e.V., Stuttgart; Ralf Homann, Cross the Border, Muenchen.
- (3) [die kunst der kampagne/art of campaigning] hrsg. von Kurt Grunow, Ralf Homann, Geert Lovink, Renée Turner; Mark Luther Verlag, Muenchen, 1999, ISBN 3-931720-13-6, als hörspielversion herausgegegeben 2001 von kriegste.de.
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