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Geert Lovink u. Pit Schultz:

Aufruf zur Netzkritik

Ein Zwischenbericht

"Zu Internet faellt mir nichts ein." (Johan Sjerpstra)

Netzkritik als Form und Kategorie ist nicht mehr als eine bestimmte offene Textform. Sie geht geht zurueck auf eine Gruppenarbeit, ausgehend von Treffen und Mailinglistaktivitaeten, bis hin zu Papierkrieg und Softwareentwicklung.

Es gibt keine Weise sich der Netzkritik als solcher "zu stellen", sondern man kann sich darin betaetigen oder nicht, etwas hinzufuegen, etwas entgegnen oder etwas programmieren. Die Konstruktion von Gegnerschaft oder der Zwang zur Befuerwortung ist nicht ihr vorwiegendes Geschaeft. Es handelt sich in den hier vorgestellten Beitraegen nicht um exemplarische Wege aus der Unbedeutsamkeit, nicht um eine Umschulungsmassnahme fuer begnadete Spaeteinsteiger, nicht um getarnte Propaganda fuer den globalen Ausverkauf, nicht um Diskursgepaeck fuer die Besserinformierten, auch nicht um Geheimwaffen fuer den lagerinternen Grabenkrieg, sondern um ein Projekt an dem man sich beteiligen kann. Es geht nicht um ein Buchwissen das bestaetigen soll, was man immer schon wusste, sondern um die einen eigenen Spielraum fuer radikalen Kritizismus innerhalb einer explodierenden elektronische Oeffentlichkeit.

Es geht um eine bestimmte Umgangsweise mit dem Netz, keine Theorie sondern eine Theoriepraxis. Eine allgemeine und spezielle Theorie des Netzes ueberlassen wir gerne anderen. Netzkritik, als Work in Progress verstanden, ist knapp gesagt, weder Technik- euphorie noch Kulturpessimismus. Sie setzt sich ab vom neo- liberalen Hippietranszendentalismus, aber haust in den technischen Medien und vermeidet eine elitaere Aussenseiterposition die mit dem ganzen Arsenal von Zynismus bis Apokalypse den Untergang der abendlaendischen Kultur samt Nationalstaat und "Bewegung" besingt. Dem Akademismus bleibt es ueberlassen die allgemeine Theorie der Netze in ihre Teilbereiche zu untergliedern und die Art und Weise der Kritik so zu disziplinieren, dass weiterhin keine Wirksamkeit auf den Prozess der Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes stattfindet, wohl aber eine geordnete und elaboriertere Weise ueber das Netz als Medium kluge Dinge zu sagen.

Netzkritik waere dann eine zeitlich begrenzte Uebung in taktischer Negativitaet welche die Belanglosigkeit der Computernetze geniesst ohne sich den Verfuehrungen gestiegenen Interesses zu verschliessen. Sie analysiert die Organisation von Macht in der immateriellen Spaehre und versucht diese selbst in den Griff zu bekommen, in dem Wissen dass der Kapitalismus nie einen unbesiedelten unzivilierten Cyberspace erlaubte. Die Missgeschicke der Anderen sind also nur Aufruf zum Selbermachen. Noch gibt es die Freiheit sich nicht mit alten Idealgegnern zu befassen, sondern auf deren Neubildung Einfluss zu nehmen. Jetzt ist die Periode der Hyperwachsamkeit, eine komprimierte Entwicklung, die aller Erfahrung nach in eine bleierne Zeit uebergehen wird, wie wir sie von anderen elektrischen Medien her kennen.

Auszugehen ist davon, dass demnaechst die Schonzeit fuer Neulinge, die sich nur ein wenig umschauen, vorbei ist. Die Offenheit der Entscheidung ob mitzumachen ist oder nicht, aendert sich wenn die Weichen fuer die Informationsgesellschaft gestellt wurden, und ganze Bundeslaender ihre Verwaltungen ins Netz stellen unter furchtbaren Bedingungen, inclusive Polizeistaatlichkeit und Umgestaltung der Arbeitsplaetze. Implizit ist, dass die Netze, Orte der Entscheidung sind, in denen sich zukuenftige Machtordnungen abbilden und neu strukturieren. Wir unterstuetzen keine fundamentalistische Ja/Nein sondern versuchen Beispiele zu geben fuer Versuche das Medienmonopol auf allen Ebenen zu brechen, durch taktische Massnahmen auf der Mikroebene vieler kleiner Entscheidungen.

Zentral fuer eine Kritik der Netze sind darum die Erzaehlungen, Mythen und ideologischen Muster, die eine unsichtbare "Herrschaftsrethorik" reproduzieren, die Machtverhaeltnisse die in den Programmen der heutigen Medien eingeschrieben sind. Es ist fuer Neon-Marxisten absehbar, dass der Postfordismus einen Nachfolger in der Tyrranei eines "reibungslosen Kapitalismus" (Bill Gates) finden wird. Der Anspruch dass es nur eine richtige Strategie gibt, Technologie abzulehnen, ist im Wettlauf um die wahre revolutionaere Identitaet, den Oeko-fundamentalisten, Moralpredigern und lustvoll Leidenden ueberlassen fest verankert an den Felsen von Wahrheit, Wirklichkeit und Idenditaet.

Insbesondere muessen wir noch auf die Lehre der politischen Oekonomie des Cyberspace warten. Die Schwerfaelligkeit des eigenen Methodenapperates wird nach wie vor kultiviert, und man gibt sich bisher allzuleicht zufrieden mit der Berichterstattung der Printmedien und deren Legendenbildungen. Es gehoert zur Gnade der Spaeteinsteiger dass sie immer Recht behalten und ein durchkommerzialisiertes Netz vorfinden das sie schon immer herbeigefuerchtet haben. Das trostlose Kapitel der deutschen Mentalitaetsgeschichte, die Kultur der Zoegerlichkeit, hat nichts zu tun mit real stattfindender Technologisierung oder dem Aufbau von Infrastruktur (ISDN) sondern der biedermeierlichen Bodenstaendigkeit einer allzu heilen Welt. Hinzu kommt das Fehlen von Kontrollmechanismen des Netzes durch den Fuersorgestaat.

Heimlich warten viele auf die staatliche Infobahn die dann zu blockieren waere (das Kappen der Datentrasse Bonn-Berlin). Netzkritik ist Teil eines Digitalen Dekonstruktivismus der sich vom Moment der Gesellschaftskritik insofern loest, als er die Negation des "Gesellschaftlichen" und anderer Theorie-phantasma mitdenkt: das kommende Volk, der Neue Mensch wird mit froehlicher Skepsis begruesst, es handelt sich mehr um das notwendige Rauschen bei der Einfuehrung eines neuen Mediums als um die Grundlage einer neuen Weltordnung.

Der Datendandy hat sich mittlerweile geuebt im schreiben von endlosen disclaimern. Im voraus werden allen moeglichen Kontextualisierungen durch vague (und gutgemeinte) Vorsichtsmassnahmen vorweggenommen. Was vorher noch mit viel Handarbeit auf der persoenlichen Festplatte verteilt wurde, findet sich heute ein Klick weiter auf einer liebevoll gestaltete Heimseite. Das programm des digitalen Aesthetizismus ist in die Software eingegangen und taucht in den neuen Versionen der Webbrowser auf. Der Dandyismus der Daten hat sich ein Element bei der Definition der Oeffentlichkeit im Netz erwiesen. Die Beiteiligung an der Ausdifferenzierung in Boulevards, Cafe's, Salons, Plaetze und Datenbanken, geht zurueck auf den fundamentalen Freude an dekontextualisierten Datenobjekten und deren Rekombination die zu entscheidenden Vorsortierungen bei der Genese von Aussagegefuegen fuehrte. Ueberfluss und Overload sind keine Gefaehrdung fuer eine politische Stellungnahme, solange es nicht darum geht eine puritanische Essenz zu destillieren oder den Glauben an die heiligen Staedte des Wissens zu verteidigen. Statt der Exegese von Texten geht es um Umleiten und Verschalten von Datenstroemen, statt Interpretation geht es um Rekombination, statt Repraesentation geht es um Kontextualisierung, statt Differenzierung geht es um Vernetzung. Heute ist der Subjektivierungswettbewerb auf dem Netz im vollem Gange und die Gestalten haben sich vermehrt, allen voran die radikalen Konsumenten, in der Drogenkultur des Netzsurfens, die alle Ecken und Enden des "global brains" besucht haben, nur um sich immer wieder selbst zu treffen. Nach langen Jahren kamen Politik und Aesthetik auf einander zu, beschnueffelten sich und befanden es fuer notwendig ein taktisches Buendnis einzugehen gegen Fundamentalismus, Digitalkommerz und Oekoapokalypse.

Die ausgepraegte Oekonomie der Enttaeuschung ist Teil des Programms der alten Medien. Die gezielte Fehlschaltung verschafft eine Freude an unvorhergesehenen Effekten, das Rechthabenwollen bleibt den Visionaeren und Moralisten ueberlassen. Dem Vorwurf des Voluntarismus wird entgegnet, dass das Ausloesen von Turbulenzen eine Veraenderung im Aussagegefuege wahrscheinlicher macht, als das Zementieren bestehender Gewohnheiten. Im Sinne einer Taktik genuegt es die Schwachpunkte eines Systems zu lokalisieren und zu kitzeln, ohne ihren Gesamtplan verstehen zu muessen. (Unix Kenntnisse erwuenscht) Man befindet sich im Puzzle-Stadium und wartet geduldig auf Hauptwerke wie "Das Netz der Gesellschaft", "Telematik und Kapital", "Dialektik der Technik", "Kultur und Netz", "Sprache der Computer", "Theologie der Virtualitaet", "Cyberspace: Wesen und Wirkung", "Kritik der Aufloesung", "Ideologie der Information", bis hin zu "Wege aus der Informationsgesellschaft". All dies laesst sich denken, es existiert bereits in Ansaetzen, laesst sich mit viel Fleiss neiderschreiben und ist bereits heute ungefaehrlich. Darum ist es notwendig die erhabenen Ebenen des Diskurses zu verlassen und in die Niederungen des kollektiven Datenschlamms einzutauchen... solange es offene Netze und Mailboxen gibt es auch eine reiche politische Technik-Kultur, die vielen erst noch entdecken muessen.

 

 

 

Kritik 95

Im Juni 1995 fand in Venedig das Gruendungstreffen von _nettime_ statt. Als intellektuelles Tagesprogramm galt es sich parasitaer am deutschen Techno-export zu beteiligen und der Repraesentationslogik des Kunstbetriebs ein nichtoeffentliches diskursiv-dialogisches Ereignis entgegenzusetzen. Themen waren: eine erste Kritik an der Wired Ideologie, Grenzen der Stadtmetapher, Analyse von Info-Vitalismus und Kuenstlichem Leben, Dialog im Spannungsfeld von lokalen Bedingungen und globalen Verhaeltnissen sowie Moeglichkeiten subversiver Praxis innerhalb der Netze, ueber das Hackertum hinaus.

Zuvor fand im Spessart unter der Schirmherrschaft des Frankfurter Vereins 707 einen Treffen statt (namens "Medien-ZK"), wo versucht wurde die Kultur der Zoegerlichkeit zu ueberwinden und mit dem akademischen Mythos zu brechen eine Kritik am Internet waere nur aus dem Pathos der kritischen Distanz moeglich. Der Versuch eine gemeinsame Medienstrategie der Netze zu entwickeln und jenseits von Kommerz und Institutionen autonome Kommunikationsstrukturen aufzubauen schlug vorerst fehl.

Das "Interfiction" Treffen im Dezember 95 in Kassel loeste den Begriff der Gegenoeffentlichkeit auf und dokumentierte eine fragmentierte linke Praxis die sich noch weitgehend an den alten Medien spiegelte. Es war zu unzeitgemaess, um von einer Netzkultur zu sprechen, da die Inseln kritischer Aktivitaet untereinander wenig Gemeinsames finden konnten. Auch der Anschluss an akademische Forschungen im Bereich Medientheorie- Medienkunst fand nur ungenuegend statt, weil sich kein Minimalkonsens finden lies, um gemeinsame Handlungsraeume zu definieren.

Im Herbst 95 begann nettime als internationale Mailingliste hervorgehend aus losen E-mail-verbaenden. Technisch gesehen handelt es sich bei einer Mailingliste um einen Verteiler der eine an ihn gerichtete Nachtricht anstatt an einen Empfaenger an eine Liste von Abonnenten weiterleitet. Als ein offenes Forum fur den Austausch und die Selektion von elektronischen Texten ist es nicht das Hauptanliegen ein elektronisches Diskussionsforum fuer Netzambitionierte zu bieten, das traditionellerweise in die Beliebigkeit von "sozialen Rauschen" uebergeht. Man kann es derzeit an zahlreichen Newsgroups und Mailinglisten sehen, dass ein elektronisches Forum nur ein gewisses Mass an "Neuzugaengen" und richtungslosen Dialog verkraften kann.

Darum sind Treffen (Symposien, Reisen, Gruppengespraeche, Vortraege, Spaziergaenge aber auch Ferngespraeche) im Umfeld von nettime unumgaenglich um gemeinsame Projekte zu realisieren und "networks of trust" aufzubauen. Die Netze haben eine nicht vernaechlaessigbare soziale Dimension, wobei unabhaengig vom Gruppen oder Projektnamen die Tendenz, sich gegenseitig zu stuetzen, auszutauschen und dezentrale Allianzen und technische Koalitionen zu schliessen, um Kontext herzustellen ohne den der Aufbau von "Content" unmoeglich ist. Der Dialog findet somit mehr ausserhalb von Nettime statt, waehrend Diskurs sich je ueber den diskontinuierlichen Strom der Beitraege herstellt, die sich je gegenseitig kontextualisieren und eine sich ueber die Zeit veraendernde Konsistenz und Kohaerenz entwickeln.

Die Dokumente, die in Nettime veroeffentlicht werden tauchen spaeter, oft in anderen Zusammenhaengen und Uebersetzungen auf. Eine Weiterverwendung ist erwuenscht und organisiert sich unabhaengig und dezentral: Die Zeitschrift Arkzin aus Zahgreb, The Thing BBS network Wien/New_York/Amsterdam/Basel, mediafilter.org von Paul Garrin in New York, Telepolis in Muenchen, die Zeitschrift MUTE in London, 21 C. in Sydney, Gondolat Jel in Budapest, Strano in Florenz, Herbert A. Meyer in Kassel, Andere Sinema (Antwerpen), Rewired in San-Francisco, Berlin. Dazu gibt es die englischsprachigen ZKP Reihe (Zentral Kommitee Proceedings) die als Grundlage gediehnt hat fuer dieses Buch. ZKP1 erschien wahrend den Next Five Minutes II in Amsterdam, die zweite in Madrid zu 5cyberconf, und ZKP3 bei Metaforum III in Budapest. Diese "Prepublishing" Strategie mag an die goldenen Zeiten der Zines erinnern, oder die Preprints der scientific community, kleinen selbstproduzierten und selbstvertriebenen Magazinen die vor allem in den 80er Jahren in den USA, u.a. durch die Verfuegbarkeit von Produktionsmitteln (DTP, Kopierer).

Auf der Flucht vor der bundesdeutschen Oede, hin zum romantischen Bild der weltbuergerlichen Cybergemeinschaft, trifft man auf die sehr harte Grenze der englischen Sprache. Es ist fast ein Geheimnis dass viele sich doch nicht so heimisch fuehlen im Englischen, und es zeigt sich, wenn die Debatten richtig in Gang kommen, dass gezoegert wird sich eine sprachliche Bloesse zu geben und das erhabene Begriffsgebaeude des Deutschen zu verlassen. Das Sprachproblem taucht erst dann auf wenn man sich anspruchsvolleren Aufgaben stellt, und allzuschnell beruft man sich auf Quellen aus dem 'feindlichen Lager' weil nichts anderes zur Verfuegung steht. Trotz aller Koordinationsschwierigkeiten zwischen den verschiedenen Publikationsmileus sind wir darum ausdrucklich dem ID Verlag zu Dank verpflichtet hier erste Anstrengungen unternommen zu haben. Entgegen dem erfolreichen Theorieimport der 80er Jahre gaebe es heute die Moeglichkeit, die reichhaltige und differenzierte deutsche Medien, Technik und Kulturkritik in die internationale Debatte einzubringen. Hier sind neue Verfahrensweisen gefordert, das Uebersetzungsproblem in den Griff zu kriegen. Aus diesem Grund wurde paralell zur internationalen eine Mailinglist fuer german-only Text eingerichtet zu der alle Leser herzlich eingladen sind.

Es geht uns darum, eine "Arbeit am Diskurs" in verschiedenen Kontexten und Sprachen die Sache der Netzkritik voranzutreiben und dem Sieg ueber den Infokapitalismus ein Stueck weit naeher zu kommen. Man versteht jedoch das Modell von nettime besser, wenn man die seine Charakteristik in Zeit und territorialer Verteilung naeher betrachtet. Nicht die Segmentaritaet eines Periodikas, sondern die Verteilung in Intensitaeten, Zeiten und Zonen diskontinuierlicher Aktivitaet im Feld kultureller Differenzen, in denen es eher um das Moment der Bewegung als um eine kaderhafte Durchorganisation nach dem Primat festzulegender ideologischer Leitlinien geht, wo die Ausgrenzungsrituale aufbluehen. Auch ist nettime keine versteckte Form von Konzeptkunst, weil sie den Kunstbetrieb zwar schneidet oder ihn anzapft, aber durchaus auch funktioniert ohne Kunst genannt zu werden.

Nettime funktioniert weitgehend ohne Redaktion, als vages Medium. Die Praxis des "collaborative text filtering" geht zurueck auf die Praxis der news groups und mailinglists. Der Moderator, anders als der Redakteur, ist zugleich technischer Operator, er animiert zum Schreiben, filtert den groebsten Muell, schlichtet Streit, stellt Kontakte her und laedt neue Abbonenten ein. Eine sorgfaeltige Kontextualisierung ist fuer jeden Sender unumgaenglich, das trifft sowohl fuer eigene Texte wie fuer gefundene Texte zu. Die Dokumente kontextualisieren sich ueber einen unscharfen Auschluss von Dokumenten die an anderer Stelle publiziert werden, ueber die Sammlung deren Bestand stetig waechst und die Grundlage fuer Neuzugaenge herstellt, und ueber ihre Herkunft die oft innerhalb des sozialen Netzes um nettime herum zurueckgeht und schliesslich ein Mass an Selbstreferentialitaet bei der das Netz als Medium Thema des Textes ist. Schliesslich ist eine Reihe von Massnahmen noetig, welche die Oekonomie der Aufmerksamkeit (attention span) modellieren, die Verbindlichkeiten auch zwischen und mit den Usern zusammen herzustellen und fuer einen Aktualitaetswert zu sorgen, d.h. unartikulierten Konflikten auszuformulieren (Barlow Kritik) oder kommende Issues auszuloesen oder zumindest anzusteuern. Es geht darum Ausschau zu halten nach Konzepten die Einfluss nehmen auf die Entwicklung des Netzes. Die Begrenzung der Wirksamkeit findet sich auf der Ebene der Software und Hardwareentwicklung. Es geht nicht darum eine radikale Kritik zu formulieren die unbedingt zu bejahen ist, sondern Virtualitaetsfelder zu erzeugen, die Handlungsmoeglichkeiten eroeffnen und Orientierungen und Argumente, in denen ueblicherweise Ohnmacht und Kritiklosigkeit herrschen.

Die Freiheit von der Technik soll Ausdruck verliehen werden, die sich nicht nur im Aushandeln technischer Parameter abspielt sondern in deren Umsetzung in die Kultur oder Soziosphaere. Einerseits geht es also um Handlungsdimensinen im konkreten Sinne, d.h. z.B. das argumentative Material zu liefern aus dem heraus erst eine gezielte Praxis moeglich ist, (Hacker der 2. Generation), aus dem ein bestimmtes gelebtes Verhaeltnis zur Technologie moeglich wird. Bestimmten Ideologien und Plaenen schon heute entgegenzutreten, bevor sie die Grundlage fuer in Technik, Standards und Bestimmungen gesetzte Machtverhaeltnisse umgesetzt werden. Das versteckte politische Programm der Cyberkultur, welche Technik als eine unhinterfragbare Instanz einer naturgleichen Macht versteht, und von einem Moment der Ueberwindung ausgeht, einen ebenso "posthumanen" wie retro- modernen Neuen Menschen konstruiert.

Es gilt die falschen Versprechungen und frommen Wuensche allen Cyberpriester entgegenzutreten und die Machtinteressen dahinter offenzulegen. Der Kollaps der Virtualisierung muss als Negation der ueberzogenen Verheissungen zumindest mitgedacht werden. Uns kuemmert nicht die morbide Idee dass Europa verloren hat, und nun dem Untergang geweiht auf der frueheren Entwicklungsstufe der "second wave" Industrialisierung stecken bleibt, verurteilt zum Kulturkampf und der Verteidigung der Ueberreste einer ruhmreichen Geschichte. Die Kritik am Neoliberalismus welche auf eine Moeglichkeit der Kontrolle der Netze hofft, baut auf eine kaum vorstellbare nationalstaatliche Loesung. Mehr Sinn macht es sich international zu vernetzen um innerhalb transnationaler Organisation der "corporate states" handlungsfaehig zu bleiben. Es geht darum vollstaendig erneuerte Modelle von Imperialismus- und Ideologiekritik zu erarbeiten, welche den veraenderten Bedingungen des globalen Kapitalismus nach 89 gewachsen sind und auf den Begriff bringen.

Die Kritik der in Netztechnolgien eingeschriebenen Ideologien und des darum stattfindenden Diskurses, kann sehr leicht in eine selbstgenuegsame, anti-amerikanistische Ideosynkrasie abgleiten. Eine deutsche Netzkritik kann genauso wie eine franzoesische in eine eurozentristisch- isolationistischen Haltung uebergehen in der Sicherheitspolitik und Kulturpolitik aufeinanderfallen. Nicht die Klagen ueber amerikanischen Kulturimperialismus samt ihrer medienoekologischen Variante, sondern die Internationalisierung autonomer Netzpraxis sind gefragt. Das Problem der Uebersetzung muss mitgedacht werden, die Vielsprachlichkeit foerdert die Entwicklung eines net-pigeon-english, einer lingua franca cibernetica, bei der man sich nicht scheuen muss Fehler, sondern eher zuviel Worte zu machen. "Mach es kurz! Am Juengsten Tag ist's nur ein Furz." (www.goethe.de)

Man kann die Ausgrenzungverfahren und den Integrationswang beklagen die mit der Vernetzung und Digitalisierung einhergehen, die unheilige Alianz von Leviathan@babylon.com mit Behemoth (tm) bekaempfen, dabei vergisst man laengst, dass es sich um Gefuege von Maschinen, Menschen und Medien handelt, die sich nicht als reine Wesenheiten oder kybernetische Faktoren, sondern als ziemlich wirkliche Oekonomien beschreiben lassen. Statt die Akkumulation von kulturellem Kapital unter dem Vorzeichen radikaler politischer Ziele voranzutreiben, ensteht laengst eine neue virtuelle Arbeiterklasse an den Web-Stuehlen und Teleworkstations. Die Umstellungen finden statt, verkrustete Buerkokratien werden schlank gemacht, die ganze Palette von Outsourcing bis Downsizing schafft eine Heterogenitaet von fluiden, kleinen und flexiblen post-fordistischen Unternehmen, mit ganz eigenem Arbeits-ethos und viel corporate culture, doch die neuen Modelle sind nicht nur besser oder schlechter sondern die Zersplitterung erfordert veraenderte Formen der sozialen Sicherung und des Arbeitsverstaendnisses bis hin zu Mischverhaeltnissen von Arbeit und Freizeit, von Entlohnung und Gift economy, sei es um allein der die Kapitalisierung der kleinsten Kommunikationsdienstleistungen und einer Zentralsierung und Standardisierung unbekannten Ausmasses vorzubeugen.

Eine solche soziale Praxis geht weg von der Frage wie eine technische Topologie des Netzes auszusehen hat, geplant von einem sozialdemokratischen Parteienapperat, sondern es sind im kleinen Modelle zu entwickeln die in aehnlicher Form Verbreitung finden, alleine weil sie allzu offensichtliche Vorteile fuer die Leute bieten die sich ihnen unterwerfen. Darum ist nicht nur am Theorie-Praxis-Abgleich zu feilen, sondern gleich das ganze Feld mitzudenken und zu entwickeln in dem sich eine solche veraenderte Arbeitsweise ausbreiten soll. Der Vorteil an der ungemeinen Dynamisierung der Arbeitswelt durch neue Technologien ist, dass sich damit zumindest zeitweise die Moeglichkeit bietet, praktikable Arbeitsmodelle zu entwickeln die fuer die Beteiligten Spass und Geld genug zum Leben einbringt, mit einer Ausrichtung auf weitraeumigere Ausbreitung solcher Modelle. Ein zartes Beispiel hierfuer koennen moeglicherweise die verschiedenen unabhaengigen, un-hierarchischen Arbeitsgruppen um Websites, digitale Staedte, Kulturprojekte bieten.

Es geht der Netzkritik nicht nur eine Kritik der in Technolgien 'eingeschriebenen' Gesetze und Wahngebilde, nur um sie durch ihr Negativabdruck zu ersetzen, noch geht es um die Durchsetzung eines generalisierten Leitbildes. Nicht um korrektes Verhalten und aufgeklaertes Bewusstsein, nicht um Volksbildung im Sinne der Verbesserung der Menschen, bis hin zur Zaehmung des Maschinellen, sondern jenseits der Negativierungen das angebotene Material einzubauen in existierende Strukturen ohne gleich die 'digitale Revolution' predigen zu muessen.

Die unertraegliche Leichtigkeit der digitalen Kosmopoliten benoetigt eine Verortung um Symposien, Netzarbeiterkollektiven, Kneipen, Privatwohnungen. Angesichts einer bevorstehenden Telekommunikatiosordnung die sich am Modell des Obrigkeitsstaates orientiert, besteht die Moeglichkeit der Daten-Emmigration. 'exil.nl' bietet politisch verfolgten Datenbestaenden einen Zufluchtsort. Die ersten "off-shore" (im internationalen Gewaesser, auf einer Suedseeinsel) fuer Steuerflucht oder Raubkopien existieren bereits, extraterrestrischen Satelliten- server und Dienstleistungen im Graubereich. Die optimale Ausnutzung der kleinen nationalen Unterschiede wird auch im Bereich der Politischen Daten zum Problem.

 

 

Burn, Cyberspace Burn!

(Schade, dass Information nicht brennt)

Viele Aktivisten moechten nicht vertraut werden mit den Kreisen der Hacker, die in Verruf geraten sind durch den Ausverkauf durch alte Medien. Die Kriminalisierung elektronischer Kompetenz wurde auf breiter Basis akzeptiert und man ist sich nicht bewusst das es um die klassische Aneignung der Produktionsmittel geht. Weltweit wird die politische Aktivitaet auf den Netzen gleichgesetzt mit der Institutionalisierung politischer Arbeit unter das Dach weltweit operierender NGO's (APC, Soros).

Der Mythos des Hackers besagt, dass er in der Vorgeschichte der Netze zurueckbleibt, und als Sicherheitsproblem den Anti- viren-experten anvertraut wurde. Es geht nicht nur um die Onlinisierung politisch korrekten Content's sondern um den kreativen Umgang mit den technischen Moeglichkeiten die sich hinter den Clickoberflaechen verbergen, und zwar nicht in dem Sinne dass man sich mit den Arsenalen des Cyberwars gegenseitig fertig macht. Es reicht nicht nur den Anti-Mercedes-Benz-Site aufzumachen um effizient den weltweiten Kampf gegen multinationale Konzerne aufzunehmen, sondern ueber die Repraesentationstechniken hinaus, sich neue Formen von Netzcapagnen auszudenken. Der Zapatista-Mythos der netz- gestuetzten Revolution stuetzt sich faktisch mehr auf eine weltweite Fangemeinde, als die eigentliche Vernetzung der Chiapas-Region. Die Bereitstellung von Hard und Software aber auch die man-power um funktionierende unabhaengige Systeme aufzubauen ist mindestens ebenso wichtig wie die Aufklaerung ueber die Telepolis zu Hause.

Ueber die Instrumentalisierung der Netze hinaus, gibt es trotz aller Netzkritik, neue Freiheitsgrade zu erforschen und zu geniessen. Hierzu gehoert die Aesthetisierung von LoTech, oder die Taktiken der Verlangsamung, das Zusammenloeten hybrider Medienverbuende (Theater, Radio, Super8, Fax, C64, Casio, Xerox, T-Shirts), das Operieren auf den untersten Systemebenen, Downgrading the future, die Rueckkehr zu ASCII als Politikum, Net-Strike, innercity, Prenzlnet (Vernetzung aller Hinterhoefe), public terminals, freie Vergabe von fake-e-mail-Adressen, anonyme Blitzmails. In diesem Sinne ist der Aufruf zur Netzkritik zu verstehen.

 
 
 

 

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