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the abc of tactical media

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het logo van de waag "Diese Deklaration wurde anlässlich der Webseiten-Eröffnung
des Taktischen Medien Netzwerkes geschrieben, gehostet von de Waag,
der Gesellschaft für alte und neue Medien [waag.org].
"
 
von David Garcia und Geert Lovink

das abc der taktischen medien

 

Taktische Medien treten dann in Aktion, wenn die billigen Do-it-yourself Medien durch Gruppen oder Individuen entdeckt werden, die sich von grösseren kulturellen Zusammenhängen angegriffen oder ausgeschlossen fühlen. Taktische Medien berichten nicht nur über Ereignisse. Und obwohl sie nie etwas verurteilen, nehmen sie immer Anteil. Schliesslich ist es das, was sie mehr als alles andere von Mainstraem Medien unterscheidet.

Eine spürbar andere taktische Ethik und Ästhetik hat sich da entwickelt, die kulturell sowohl durch MTV, aber auch von aktuellen künstlerischen Videoarbeiten beeinflusst ist. Und obwohl diese Ästhethik auch nur ein neues Stilbewusstein darstellt, begannen die taktischen Medien mit dem quick&dirty Design, das heute vor allem in seiner Camcorderform auch gern als Markenzeichen der 90er gesehen wird.

Taktische Medien sind die Medien der Krise, der Kritik und des oppositionellen Widerstands. Sie stellen die Quellen ihres Einflusses und zugleich die ihnen innewohnenden Grenzen dar. ['Ärger bedeutet Energie', John Lydon]. Ihre typischen Helden sind der Aktivist, der rastlose Medienwanderer, die gefühlvolle Trickserin, die Hackerin, der Strassenrapper und der Camcorder-Kamikazee. Sie sind die glücklichen Trottel, immer auf der Suche nach einem Feind.

Was aber macht unsere Medien taktisch? In der ´Praxis des Alltäglichen` analysiert De Curteau Populärkultur nicht als eine Domäne von Texten und artifiziellen Ausstellungsstückchen, sondern eher als ein Zusammenspiel von Praktiken und Operationen, die auf textbasierten oder textähnlichen Strukturen aufbauen. Er verschiebt damit die Betonung von der Representation des eigenen Rechts hin zur Benutzbarkeit der Repräsentation. Mit anderen Worten: wie benutzen wir als KonsumentInnen die Texte und Bilder, die uns umgeben? Und seine überlegte Antwort: 'taktisch'.

Das waren in der Tat weitaus kreativere und rebellischere Wege als man es sich bis dahin vorstellen konnte. De Curteau beschreibt den Weg des Konsums als Arrangement von Taktiken, durch die die Schwachen das Starke benutzen könnten. Er charakterisiert den rebellischen User (eine dem 'Konsumenten' vorgezogene Terminologie) als taktisch, und den zuvor überlegen[d]en Produzenten [also Autoren, Kuratoren und Revolutionäre] als strategisch. Diese Unterscheidung vorausgesetzt, erlaubt es ihm ein ganzes Vokabular an Taktiken herzustellen, das reich und komplex genug ist, um eine instinktive und spürbare Ästhetik zu entwickeln. Eine existenzielle Ästhetik der Beteiligung, der Lust am Rumtricksen, am Lesen und Sprechen. Eine Ästhetik des Einkaufs und des Herumschlenderns, sogar eine Ästhetik noch unerfüllter Wünsche. Clevere Tricks, die Fuchsbeute, Manöver und polymorphe Situationen, spassige Entdeckungen, genauso poetisch wie kriegerisch.

Taktische Medien sind niemals perfekt. Immer am Entstehen, transparent und zugleich pragmatisch. Involviert in einen kontinuierlichen Prozess, ständig die Informationskanäle zu hinterfragen, mit denen sie arbeiten. Das wiederum erfordert Vertrauen, dass der Inhalt überlebt, während er von Schaltstele zu Schaltstelle reist. Nur dürfen wir dabei nicht vergessen, dass hybride Medien als Gegenstück auch ihre Nemesis haben, das Mediale Gesamtkunstwerk. Das Ziel des elektronischen Bauhaus.

Natürlich ist es um einiges sicherer, an den klassischen Ritualen des Untergrunds und der alternativen Szene festzuhalten. Nur basieren taktische Medien auf einem Prinzip der flexiblen Antwort und darauf, mit verschiedenen Koaltionen arbeiten zu können, zwischen den verschiedenen Realitäten hin und her zu wechseln, ohne dabei die Grasswurzeltraditionen aufzugeben. Taktische Medien können hedonistisch sein, oder auch überschäumend euphorisch. Sogar Modebewegungen haben ihren Nutzen. Dennoch ist es zu allererst die Beweglichkeit, die den taktischen Aktionisten auszeichnet. Der Wunsch und die Möglichkeit, ein Medium mit dem anderen zu kombinieren, von einem zum anderen Medium zu springen und dabei eine Unzahl von Mutanten und Ablegern hervorzubringen. Grenzen zu übergehen, verschiedene Disziplinen zu verbinden und wieder zu verknüpfen. Dabei wegen des flüchtigen Wechsels der Techniken und der regulatorischen Unsicherheiten immer den Freiräumen den Vorzug zu geben, die kontinuerlich erscheinen.

Obwohl taktische Medien auch alternative Medien beinhalten, lassen wir uns auf diese Kategorie nicht beschränken. Ehrlich gesagt haben wir den Begriff 'taktisch' nur eingeführt, um abzugrenzen und uns jenseits der Dichotomien zu bewegen, die in diesen Denkmustern bislang verhaftet geblieben sind. Wertepaare wie etwa Professioneller gegen Amateur, Alternativ gegen Mainstream. Sogar privat und öffentlich.

Unsere hybriden Formen sind immer provisorisch. Was zählt, sind die auf Zeit angelegten Verbindungen, die man und frau knüpfen kann. Hier und jetzt, keine nebülosen Versprechen für die Zukunft. Aber genau das, was wir aus dem Stand mit den Medien tun können, auf die wir Zugriff haben. Hier in Amsterdam haben wir Zugang zum Lokalfernsehen, digitalen Städten und Bastionen der neuen und alten Medien. An anderen Orten hat man vielleicht Theater, Straßendemonstrationen, experimentellen Film, Literatur oder Fotografie.

Die Beweglichkeit der taktische Medien verbindet sie mit einer weitläufigen Bewegung der MigrantInnenkultur. Ergriffen durch die Vorhaben, die Nie Ascherson als die Pseudowissenschaftlichkeit des Nomadentums einführte. 'Die menschliche Rasse meint, ihre Exponate würden in eine neue Epoche der Bewegung und Migration treten. Die Objekte der Geschichte, einst Bauern und Bürger, sind zu Migranten geworden, zu Flüchtlingen, Gastarbeitern und Asylsuchenden. Die urbanen Obdachlosen.'

Ein anschauliches Bespiel des Taktischen kann in den Arbeiten des polnischen Künstlers Krzystof Wodiczko gesehen werden. 'Der Künstler', sagt er, 'muss lernen, als umherziehender Sophist in einer Umgebung der Migration zu agieren.'

Wie andere umherziehende Medientaktiker hat Wodiczko die Techniken durch Beobachtung studiert, durch die die Schwachen stärker werden können als die Unterdrücker. Dadurch, dass er zentrumslos wird und sich schnell zwischen den physischen und virtuellen Landschaften bewegt. 'Je mehr das zu Entdeckende gejagt wird, desto eher werden die Wege zum Jäger.'

Aber selbst dieser Eigenschaft wird radikal jeglicher örtliche Bezug genommen. Deshalb haben wir unsere Basis gern in einem Gebäude wie De Waag, einem alten Wehrturm im Zentrum von Amsterdam. Wir akzeptieren glücklicherweise das Paradox eines taktischen Medienzentrums. Genauso wie Luftschlösser brauchen wir Burgen aus Ziegeln und Mörtel, um eine Welt des entspannten Nomadentums zu erhalten. Räume zu planen und nicht bloss zu improvisieren, war von jeher ein Vorrecht der 'strategischen' Medien. Als flexible MedientaktikerInnen, die sich nicht vor Macht fürchten, schätzen wir uns glücklich, diese Annäherung für uns zu vereinnahmen.

Alle paar Jahre veranstalten wir eine 'Next 5 Minutes' Konferenz über taktische Medien aus der ganzen Welt. Schliesslich haben wir ein Basislager (De Waag), von dem aus wir verknüpfen und längerfristig aufbauen wollen. Wir sehen dieses Gebäude als einen Raum, um regelmässige Veranstaltungen und Treffen zu planen, so auch die kommenden Next 5 Minutes. Wir sehen The Next 5 Minutes und die vorausgehenden Diskussionen, als Teil der Bewegung, um einen Gegenstandpunkt zu dem zu entwickeln, was Peter Lamborn Wilson als 'das unwidersprochene Gesetz des Geldes über den Menschen' beschrieb.

 
 
 

 

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